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Thomas M. Bohn. Das sowjetische System der „geschlossenen Städte” Meldewesen und Wohnungsmangel als Indikatoren sozialer Ungleichheit

Ein Spezifikum des stalinistischen Weges in die Moderne bestand darin, dass die forcierte Industrialisierung eine im Zarenreich nicht gekannte Konzentration des Wirtschaftspotentials auf die Städte nach sich zog. Nicht von ungefähr fungierte die „Großbaustelle” in der Propaganda als Metapher fur die Errichtung des Kommunismus. Auf diese Weise wurde die ideologische Forderung, der Dominanz der Städte entgegenzuwirken und den Gegensatz zwischen Stadt und Land aufzulösen, in der Praxis auf mannigfache Weise unterlaufen. Für eine Nivellierung ganz anderer Art sorgte allenfalls die sowjetische „Treibsandgesellschaft (Moshe Lewin). Im Zuge zweier Migrationswellen, einmal in den dreißiger Jahren und einmal in den sechziger Jahren, kam es zu einer „Verbäuerlichung” der Städte. Aufgrund der durch die Folgen des Zweiten Weltkrieges in vielen Städten verschärften Wohnungsnot bildeten sich in den vierziger und in den funfziger Jahren die Barackenkultur und die „Wohngemeinschaft” (kommunalka) als vorrangige urbane Lebensformen heraus. Erst der unter Chruschtschow eingeleitete Massenwohnungsbau ermöglichte weiten Bevölkerungsteilen einen Rückzug ins Private. Nachdem sich das zivilisatorische Gefälle zwischen Stadt und Dorf bis in die sechziger Jahren zunehmend verschärft hatte, wurde das flache Land durch den Exodus der jungen Generation von einer demographischen „Auswaschung” (vymyvanie) bedroht. In der Folge fand eine Verdichtung der Bevölkerung in GroßStädten statt. Trotz des Meldesystems war der durch die Landflucht ausgelöste Druck auf die Städte so stark, dass die in den Generalplänen festgelegten Ziffern für die Grenzen des Wachstums häufig in der Hälfte der vorgesehenen Zeit erreicht wurden. Daher blieb die zentrale soziale Frage der Sowjetunion, das Wohnungsproblem, bis zum Schluss ungelöst. Entgegen den Versprechungen des Parteiprogramms von 1961 blieben gerade junge Familien unterversorgt. Angesichts der eindeutigen Präferierung der industriellen Entwicklung und aufgrund des außer Kontrolle geratenen Stadtwachstums zeichneten sich sowjetische Städte zudem durch die Unterbelichtung des Dienstleistungssektors aus. Obgleich die Sowjetunion zum Zeitpunkt ihres Zusammenbruchs über einen Anteil von 66% städtischer Bevölkerung verfügte, konnten allenfalls die baltischen Republiken, den Status urbanisierter Gesellschaften fur sich beanspruchen. Immerhin vermochte das System der „geschlossenen Städte”, dßh. die reglementierte Vergabe von Aufenthaltsberechtigungen (propiska), eine Slumbildung wie in den Entwicklungsländern zu verhindern und dadurch einen Lebensstandard zu garantieren, der sich seit der Chruschtschow-Ära an demjenigen der westlichen Welt messen lassen konnte.